21. März 2021

Die Nacht der Nächte

Max Lüdemann
Studio Kino

Im Jahr 2002 saß ich des Nachts in einem Kinosaal und wurde Zeuge eines historischen Moments. Auf der Leinwand ging eine junge Frau namens Halle Berry auf eine Bühne, nahm eine vergoldete Figur in Empfang und weinte. Sie weinte vor lauter Freude.

Dies war das erste Mal, dass ich mit ansah, was für einen Effekt eine Oscarverleihung haben kann.

Noch nie hatte eine afroamerikanische Frau einen Oscar als beste Hauptdarstellerin erhalten. Sie war nun die Erste.

Seit dieser Nacht hat mich die Faszination für die Oscars nicht mehr losgelassen. Ich merkte,dass diese Veranstaltung vor allem eine Feier ist, eine Feier des Films und des Kinos. Und der Film verdient es gefeiert zu werden, für das Besondere was er im Leben so vieler Menschen, mich eingeschlossen, bedeutet. Gerade das Jahr 2020, mit den coronabedingten Schließungen der Kinos, hat mir noch einmal deutlich gemacht, wie wichtig mir die Filmkultur in meinem Leben ist.

Filmtipp

The King's Speech

Der frisch gekrönte George VI (Colin Firth) versucht mit Hilfe eines unkonventionellen Lehrers (Geoffrey Rush) seine körperliche Einschränkung zu überwinden um sein Land für den Krieg vorzubereiten. - 4 Oscars

Letzten Montag wurden die Nominierungen für die diesjährige Verleihung bekannt gegeben und das Kribbeln im Bauch beginnt von Neuem. Ich versuche so viele nominierte Filme wie möglich zu sehen, diskutiere mit Freunden über die Gewinnchancen der Nominierten, der Abend wird vorbereitet mit Essen und Tippspielen. Der vielleicht notwendige Urlaub für den folgenden Montag wird eingereicht, der Zeitverschiebung sei Dank.

Es werden sich Fragen gestellt. Gibt es einen klaren Favoriten? Wird der richtige Film am Ende des Abends genannt? Wird sich Sacha Baron Cohen benehmen? Bekommt Steven Spielberg in den Dankesreden wieder mehr Platz als Gott?

Aber auch wichtigere Fragen tauchen immer wieder auf. Sind die Nominierungen divers genug? Wann hört die Herrschaft der alten weißen Männer in der Academy of Motion Picture and Sciences, den Ausrichtern der Zeremonie, auf? Kann sich die Oscarverleihung, wenn man an ihren Problemen gearbeitet hat, hinbewegen zu einer authentischeren, glaubwürdigeren Repräsentation der amerikanischen und internationalen Filmkultur?

Als langjähriger Fan der Oscars sind mir diese Defizite bewusst und es tut jedes Mal weh, wenn Erwartungen, die man in die Verleihung gesetzt hat, nicht erfüllt werden. Trotzdem meine ich - zumindest in den letzten Jahren - einen Willen, der in die richtige Richtung zeigt, festzustellen, jedem Fehler der passieren mag, zum Trotz.

Aber so ist es nun mal oft mit Dingen die man liebt. Man möchte, dass sie sich verbessern und wachsen.

Filmtipp

In der Hitze der Nacht

Virgil Tibbs (Sidney Poitier) wird zur Aufklärung eines Kriminalfalls im Jahr 1967 in eine Kleinstadt im Süden der USA geschickt. Seine Ermittlungen werden durch rassistischen Ansichten erschwert. - 5 Oscars

Als es noch möglich war, in Deutschland die Oscarverleihung in Kinos zu sehen, waren die positiven Eigenschaften der Oscars sogar außerhalb des Dolby Theatres direkt spürbar.

Jedes Jahr saß wir in einem zumindest halb gefüllten Kinosaal, draußen im Foyer warteten Kaffee und Schnittchen auf die Gäste, fall man sie zu später Stunde oder am frühen Morgen einmal benötigen sollte.

Aber das Wichtigste war die Gemeinschaft unter den Zuschauern. Es wurde gejohlt, es wurde gejubelt, es wurde geflucht. Man kannte sich untereinander, weil man wusste das man eine Leidenschaft, den Film, teilte. Egal ob es eine Mutter mit ihrem dreizehnjährigen Sohn, ein homosexuelles Pärchen oder einfach eine einzelne Filmenthusiastin war. Im Anschluss trennten sich unsere Wege, bis es ein Jahr später wieder hieß: „And the Oscar goes to…“

Filmtipp

Auf vieles müssen wir bei der diesjährigen Verleihung verzichten. Kein roter Teppich, keine große Bühne am Hollywood Boulevard, keine großen Gesten vor der Weltöffentlichkeit, zumindest nicht in der körperlichen Gegenwart anderer Menschen. Und trotzdem bin ich sehr positiv gestimmt, was die Zeremonie in diesem Jahr angeht. Die Nominierungen für den besten Film sind mit zum Beispiel Judas and the Black Messiah, Minari oder Promising Young Woman sehr spannend ausgefallen.

In den Kategorien für die Darstellerinnen und Darsteller ist eine selten erreichte Diversität entstanden und in der Sparte Regie sind mit Chloé Zhao (Nomadland) und Emerald Fennell (Promising Young Woman) erstmals zwei Frauen nominiert worden, die sehr realistische Chancen auf eine Auszeichnung haben. Spannender war es selten bei den Oscars.

Filmtipp

Moonlight

In drei Episoden wird die Lebensgeschichte eines queeren Afroamerikaners auf eine Art und Weise gezeigt, die neu definiert, zu was das Medium Film fähig ist. - 3 Oscars

Es bleibt nun nur noch das Warten auf den 25. April. Das Warten auf die Feier des Films. Das Warten auf die Möglichkeit, dass wieder Geschichte geschrieben wird, wie damals im Jahr 2002.

Das Warten auf die Nacht der Nächte.